Nach dem Wahlkampf ist vor dem Wahlkampf

Ich bin von der schwarz-gelben Regierung enttäuscht. Ich habe sie nicht gewählt und ich hätte einen Bundeskanzler Steinmeier lieber gesehen als noch mal vier Jahre Merkel. Dennoch hätte ich wesentlich mehr von Kanzlerin Merkel und ihrem Vizekanzler Westerwelle erwartet.

Doch war ist in vier Monaten schwarz-gelb passiert? Sie haben die Gesellschaft gespalten. Und zwar in erster Linie mit Worten, und nicht mit den Reformen, die sie eigentlich hätten durchführen wollen. Westerwelle schimpft über spätrömische Dekadenz bei Menschen, die von Hartz-IV leben. Es freute mich zu sehen, dass ich so Artikel über das römische Leben lesen konnte. Es ist klar erkennbar, dass der Vergleich zwischen Hartz-IV-Empfängern und der reichen Oberschicht vor knapp 2000 Jahren, die durch ihr Luxusleben den Untergang des römischen Reiches befeuerten, doch hinkt.

Westerwelle hat eines vergessen: Leute, die sich auf Kosten des Landes, also des Staates und seiner Unternehmer und der Bevölkerung bereichern, gibt es auf allen Ebenen. Der Hartz IV-Empfänger, der sich in der Arbeitslosigkeit ganz gut eingerichtet hat und lieber mit weniger Geld auskommt anstatt zu arbeiten. Dann gibt es die Mittelklasse, die nicht die Malerfirma anruft, wenn jemand die Wohnung streichen soll, wenn’s doch der Bekannte vom Nachbarn auch kann – und das sogar nur für die Hälfte! Und auch die Reichen, die mit Geldkoffern in die Schweiz oder nach Liechtenstein unterwegs sind, gehören, wenn man den schiefen Vergleich Westerwelles noch einmal bemühen will, zu jener spätrömischen Dekadenz.

Nicht dass Guido Westerwelle Missstände im Sozialsystem anprangert, macht seine Aussagen so falsch, sondern dass er so tut, als verursachte nur eine Gruppe von Menschen, nämlich die Unterschicht, Probleme im deutschen Sozialsystem. Diese Stigmatisierung ist kontraproduktiv in einer Gesellschaft, die sowieso schon mit dem Auseinanderdriften von Arm und Reich zu kämpfen hat.

Doch enttäuscht bin ich aus einem anderen Grund. Ich dachte, dass eine schwarz-gelbe Regierung schnell die Hermds- und Blusenärmel hochkrempelt und Reformen angeht: Steuern runter, weniger Staat, im Zweifel für die Wirtschaft. Doch was ist passiert? Die Union und die FDP veranstalten größeres Theater als es die große Koalition je vermocht hatte. Der FDP-Wirtschaftsminister Rainer Brüderle ist beleidigt, weil ihm CSU-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg in Davos die Show gestohlen hat. Angela Merkel und Guido Westerwelle drehen sich gegenseitig jedes Wort um Mund um.

Dabei dachte ich, Schwarz-Gelb sei das Traumpaar der deutschen Bundespolitik. Hier die konservative Union, dort die wirtschaftsliberale FDP. Die beiden haben das Bürgertum unter sich aufgeteilt und warten sehnsuchtsvoll darauf endlich ihre Ideen umzusetzen. Und jetzt das: Vier Monate lang Streit und Rumgezicke. Die groß angekündigte Steuerreform wird wohl doch nicht ganz so groß ausfallen und in der Gesundheitspolitik ist die Übereinstimmung auch längst nicht so groß, wie das beide Seiten vorher dachten.

Schon in Bayern hat die Zwangsheirat zwischen CSU und FDP längst nicht so gefruchtet wie erwartet. Natürlich, hier kann man noch sagen, dass die CSUler nach Jahrzehnten der Alleinherrschaft es einfach nicht gewöhnt sind, dass da am ovalen Regierungstisch in der Staatskanzlei in München andere sitzen, die ein Wörtchen mitzureden haben. Doch dass Schwarz-Gelb auch auf Bundesebene versagt, wo doch Schwarz-Gelb als die große Liebe stilisiert wurde – Topf und Deckel quasi – überrascht mich sehr. Ich habe erwartet, dass Union und FDP durchstarten, Reformen durchbringen, alles sachlich und im Dienst ihrer Sache. Ich habe nicht erwartet, dass mir diese Sachen gefallen werden. Aber dass so gar nichts passiert – mit dem hätte ich wirklich nicht gerechnet.

Aber: Nach dem Wahlkampf ist vor dem Wahlkampf. In Nordrhein-Westfalen stehen Landtagswahlen an und ein Ende der schwarz-gelben Regierung unter Rüttgers ist auch ein Ende der Mehrheit im Bundesrat. Die CDU liebäugelt mit den Grünen, falls es zu einer Regierung mit der FDP nicht reichen sollte. Auch eine große Koalition wäre möglich. In der FDP herrscht deshalb Angst ersetzt zu werden. Und schon läuft ein paar Monate nach der Wahl schon wieder Wahlkampf und FDP und Union arbeiten miteinander gegeneinander. Von der Rhetorik des Bundestagswahlkampfes, die Wandel mit einer breiten bürgerlichen Basis versprochen hat, ist nicht mehr viel übrig geblieben.

Der Kabarettist Christian Springer, der als Fonsi vor allem in Bayern bekannt ist, bringt seinen Ärger über Guido Westerwelle in den folgenden zwei Minuten auf den Punkt: „Hartz-IV ist ihnen egal, Herr Westerwelle. Sie müssen nur aus dem Umfragetief raus.“

2 Kommentare

Andi B. 13. März 2010 Antworten

Die Regierung will eben niemanden vor der Wahl in NRW vergraulen, ich will gar nicht wissen, was da hinter verschlossenen Türen schon mal ausgeheckt wurde. Ich hoffe aber sehr auf ein Ergebnis in NRW, das dafür sorgt, dass diese Regierung platzt. Ich war kein großer Fan der großen Koalition, das war aber allemal besser, als dass was man uns gerade als Regierung verkaufen will. Neue Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat würden diesem Land bestimmt gut tun.

Peter 25. März 2010 Antworten

Ich finde vor allem aber erschreckend, dass so viele wieder einmal nicht wählen gegangen sind. Wenn man bedenkt, dass so die vielen kleinen Parteien wie NPD eine realistische Chance haben, ihre 5 Prozent zu erreichen, habe ich wirklich Angst. Wichtig ist für mich jetzt eigentlich nur, dass wir die kommenden Jahre mit dieser Regierung halbwegs gut überstehen.

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