Ein Regensburger Blogger schrieb über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche. Die Diözese Regensburg ging juristisch gegen die Aussage vor. Eine Auseinandersetzung um Wahrheit, Meinungsfreiheit und Barbara Streisand.
Das Bistum Regensburg war in den letzten Monaten weit öfter in den Schlagzeilen als es ihm wohl lieb war. Missbrauchsfälle bei den Domspatzen wurden publik; im Zuge der Berichterstattung darüber hielt Bischof Gerhard Ludwig Müller die Gläubigen an, die «Reife des Glaubens zu haben, nicht auf all diese Schalmeien wie 1941 hereinzufallen” und gilt seitdem als der Bischof mit dem Nazi-Vergleich.
Der erste in einer Reihe von Skandalen war der Fall eines Pfarrers in Riekofen, der sich an einem Ministranten vergangen hat. Erst im Zuge des Verfahrens wurde öffentlich, dass der Pfarrer bereits zu einer zwölfmonatigen Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Kindesmissbrauchs in seiner alten Gemeinde verurteilt worden war.
Eine Viertelmillion oder zwei Jahre Haft
Der Regensburger Stefan Aigner betreibt das Blog regensburg-digital.de. Er berichtet dort vor allem über Lokalpolitik. »Im März 2010 habe ich geschrieben, dass ich es als grotesk befunden habe, dass die katholische Kirche selbst Missbrauchsfälle aufklären soll, und habe das mit mehreren Beispielen begründet«, erzählt Aigner. Eines führte die Diözese Regensburg auf den Plan: Es ging um genau diesen Pfarrer aus Riekofen bei Regensburg, der 2008 wegen 22-fachen sexuellen Missbrauchs zu drei Jahren Haft verurteilt wurde. Nachdem er sich 1999 in Viechtach während einer Osterfeier an zwei Brüdern vergriff, während ihre Schwester die Tat beobachtete, unterschrieb die Familie der Kinder eine Stillschweigeerklärung. Der Priester zahlte 6.500 Mark Schmerzensgeld an die Familie. Schon eineinhalb Jahre später arbeitete der Priester wieder mit Jugendlichen.
Die Streitfrage ist, ob es einen Zusammenhang zwischen der Schmerzensgeldzahlung und dem damaligen Stillschweigen der Familie gibt. »Dazu habe ich in meinem Kommentar eine Einschätzung getroffen, die ich so öffentlich nicht mehr äußern darf«, sagt Stefan Aigner. Im nächsten Satz schrieb er, dass das Bistum einen solchen Zusammenhang dementiert.
Die Diözese mahnte ihn ab, das heißt sie forderte Aigner auf, solche Aussagen in Zukunft zu unterlassen. Aigner machte daraufhin einen Kompromissvorschlag und veränderte seine Aussage, um sie deutlicher als Meinungsäußerung kenntlich zu machen. Das Bistum ignorierte das und erwirkte eine einstweilige Verfügung gegen beide Formulierungen. Bei einer Strafandrohung von 250.000 Euro oder ersatzweise zwei Jahren Haft ist es Aigner untersagt, seine Sicht zum Verhalten der Kirche öffentlich zu sagen. Aigner findet das absurd: »Diese Einschätzung ist so oder so ähnlich auch beim Spiegel, der Süddeutschen Zeitung, der Bild-Zeitung oder der taz zu finden.«
Aigner legte keine Widerspruch gegen die Unterlassungserklärung ein: »Wir wollen gleich ins Hauptsacheverfahren gehen. Hier kann man Zeugen laden und hat bessere Möglichkeiten, seinen Standpunkt darzulegen.« Falls er verliert, will er in die zweite Instanz gehen. »Mein Anwalt und ich scheuen uns auch nicht, bis zum Bundesgerichtshof zu gehen«, sagt er entschlossen, »denn in meinen Augen ist das Vorgehen ein skandalöser Angriff auf die grundgesetzlich garantierte Meinungs- und Pressefreiheit.«
Der Prozess wird in etwa einem halben Jahr stattfinden. Regensburg- digital.de wird durch Anzeigen auf der Website und den »Verein zur Förderung der Meinungs- und Informationsvielfalt e.V.« finanziert. Um den Prozess finanziell stemmen zu können, hat Aigner auf seiner Seite zu Spenden aufgerufen. Mittlerweile konnte er auf diesem Weg etwa 10.000 Euro sammeln. Dem Medienmagazin ZAPP sagte Aigner: »Es wird ja wohl noch erlaubt sein auf Grund gewisser Tatsachen eine Einschätzung treffen zu dürfen. Die muss der Diözese Regensburg ja nicht gefallen. Die kann ja gerne dagegen argumentieren. Aber ich kann die sagen, auch öffentlich.«
Wo hört die Meinungsfreiheit auf?
Ein Richter muss nun entscheiden, ob Stefan Aigner schreiben darf, dass »die Geldzahlung nicht nur in den Augen unserer Redaktion einen Beigeschmack einer Schweigegeldzahlung hat« oder ob das Ordinariat ihm das verbieten darf. Das ist auch eine grundsätzliche Entscheidung: Wo hört Meinungsfreiheit auf und beginnen die persönlichen Rechte eines jeden?
Natürlich darf ein Autor im überall zugänglichen Internet nicht einfach schreiben, was er will. Das Grundgesetz definiert, wo die Meinungsfreiheit ihre Grenzen hat. In Artikel 5 steht: »Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.« Und genau diese persönliche Ehre des Priesters sieht das Bistum Regensburg verletzt. »Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des Bistums Regensburg verfolgten niemals die Absicht, die Familie des Opfers zu hindern, die Straftat gesetzlich verfolgen zu lassen. Das Gegenteil ist richtig. Sie arbeiten eng mit den Behörden zusammen«, so schreibt das Bistum in der Stellungnahme »Was ist Wahrheit (Johannes 18,38)«.
Für das Bistum steht fest: »Aigner verbreitet eine glatte und bösartige Unwahrheit und bricht damit Recht.« Den Vorwurf, unwahre Behauptungen aufzustellen, macht die Diözese aber nicht nur Aigner, sondern einer ganzen Reihe von anderen deutschen Medien. Immer wieder habe man auf Tatsachen hingewiesen, je- doch ohne Erfolg: »Also entschied das Bistum, den juristischen Weg zu gehen.«
Unter anderem der Spiegel und das Handelsblatt berichteten in den letzten fünf Jahren, wie der pädophile Pfarrer Peter K. nach dem Missbrauch 1999 in Viechtach und seiner Strafe, die zu dreijähriger Bewährungszeit ausgesetzt worden war, schon nach nur eineinhalb Jahren wieder in der Jugendarbeit eingesetzt werden konnte, ohne dass die Gemeindemitglieder in seiner neuen Gemeinde Riekofen davon wussten. »Weder der Spiegel noch andere Medien belegten auch nur ansatzweise einen Zusammenhang zwischen geleisteten Zahlungen und der behaupteten und falschen Vertuschungsabsicht. Dokumente wurden niemals aufgezeigt«, steht in der Stellungnahme der Diözese.
Aigner stützte sich auf einen Artikel im Spiegel aus dem Jahr 2007 mit der Überschrift »Schweigen gegen Geld«, der sich auf Verträge zwischen der Diözese und der Familie beruft. Im Februar 2010 griff das Magazin die Geschichte in ihrer Titelgeschichte »Die Scheinheiligen – Die katholische Kirche und der Sex« wieder auf. Daraufhin erwirkte das Bistum Regensburg eine einstweilige Verfügung gegen das Nachrichtenmagazin, das wie Aigner ins Hauptsacheverfahren geht. Gegen den ursprünglichen Artikel aus dem Jahr 2007, der weiterhin abrufbar ist, geht die Diözese aber nicht vor. ´
Der Medienjournalist Stefan Niggemeier griff diese Entwicklungen in seinem Blog auf, veröffentlichte die Stellen, wegen denen Aigner abgemahnt wurde, im Original – und wurde abgemahnt. »Die Diözese Regensburg geht nicht mehr nur gegen Artikel über ihr Verhalten im Zusammenhang mit dem Kindesmissbrauch eines Pfarrers vor elf Jahren vor. Sie geht auch gegen Artikel vor, die darüber berichten, wie sie gegen diese Artikel vorgeht«, so Niggemeier daraufhin. Er unterschrieb die Unterlassungserklärung nicht. Für ihn heißt das, dass es der Kirche nicht um eine Aufklärung der Ereignisse von 1999 gehe. »Es geht ihr offenkundig darum, das Thema insgesamt aus der Öffentlichkeit herauszuklagen.«
Dafür spricht die Wahl des Gerichts. Aigner betreibt die Seite zwar in Regensburg, aber da er im Internet publiziert, hat er fliegenden Gerichtsstand. In diesem Fall kann sich der Kläger den Gerichtsort aussuchen. Das Bistum Regensburg nutzte das für sich, indem es sich an das Landgericht Hamburg wandte. Die dortige Pressekammer ist umstritten, weil sie fast immer zugunsten der Persönlichkeitsrechte und gegen die Meinungs- und Pressefreiheit entscheidet.
Die mediale Aufmerksamkeit nimmt zu, nicht ab
Bischof Gerhard Ludwig Müller vermutet hinter den Medienberichten – erst über Fall des Pfarrers von Riekofen, jetzt über das juristische Vorgehen – eine gezielte Kampagne. Er predigte: »Es geht darum, heute die Glaubwürdigkeit der Kirche zu erschüttern.« Die Gefahr dabei ist für den Bischof als oberster Repräsentant der katholischen Kirche im Bistum Regensburg, dass es ihm wie der amerikanischen Sängerin Barbara Streisand ergeht. Sie verklagte 2003 eine Website und einen Fotografen auf 50 Millionen Dollar. Denn unter 12.000 Fotos von der kalifornischen Küste war auch eine Luftaufnahme ihres Hauses. Für sie war das eine Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte. Populär wurde das Bild allerdings erst während des Prozesses. Diesen Rückschlageffekt von Zensurversuchen wird »Streisand-Effekt« genannt.
In Regensburg heißt das: Das vermehrte mediale Interesse, das erst seit der Abmahnung und einstweiligen Verfügung entstanden ist, könnte für die Kirche den Effekt haben, den sie eigentlich verhindern wollte: Die Streitfrage bekommt mehr Aufmerksamkeit.
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Der Artikel erschien in der Lautschrift zum Thema “Freiheit”, Ausgabe 9, Sommersemester 2010