Folgender Text wurde schon letzte Woche veröffentlicht, ja vielleicht sogar die Woche davor. In Online-Medien-Zeiten also während des Pleistozäns. Es geht um das Trend Thema Entschleunigung, Pause-machen und vom Hamsterrad springen oder wie der interviewte Soziologie-Professor sagt: “Doch wenn die ganze Gesellschaft beschleunigt, kann ich nicht einfach individuell langsamer laufen, sonst stolpere ich und falle auf die Nase.”
ZEIT: Dabei sind die Läden voll von Ratgebern, die behaupten: Wer mit seiner Zeit nicht zurechtkommt, ist nur schlecht organisiert.
Rosa: Das ist genau das Missverständnis. Gegen die Beschleunigung einer ganzen Gesellschaft müssen alle individuellen Entschleunigungsstrategien fast notwendigerweise scheitern. Kaum jemand sagt, dass es ein strukturelles, gesellschaftliches Problem ist.
ZEIT: Zum Glück können wir an den Feiertagen, der Zeit zwischen den Jahren, mal ausspannen!
Rosa: Vielen fällt offenbar auch das zunehmend schwer. Man sagt: »Nun lass ich aber mal die Arbeit ruhen« – und hat trotzdem das Gefühl, die Zeit sei knapp. Denn nun drängt, was man schon lange mal tun wollte: Endlich einmal wieder mit der Familie, den Kindern, den Eltern etwas machen, die Klassenkameraden wiedersehen, zusammen essen, Hobbys pflegen, Sport treiben… Am Ende können sogar solche Termine den Charakter von Arbeit annehmen: Das muss jetzt auch noch in den Zeitplan gequetscht werden…
ZEIT: Sind wir also unfähig geworden, die Muße zu genießen?
Rosa: Das Problem ist, dass wir ständig das Gefühl haben, Zeit sei kostbar und dass sich deshalb jede Aktivität rechtfertigen müsse. Wenn ich mir vornehme, heute mal zu Hause in Ruhe ein Buch zu lesen, dann gäbe es da auch hundert andere Optionen: fernsehen, im Internet surfen, Mails checken… Das heißt: Wenn ich lese, muss ich zugleich das Gefühl haben, dies sei die nützlichste, die sinnvollste Verwendung meiner Zeit.
ZEIT: Sie meinen, ich muss es quasi vor mir selbst rechtfertigen, dass ich nun ein Buch lese?
Rosa: Natürlich läuft dieses Abwägen nicht bewusst. Es beschäftigt uns aber permanent unbewusst und bindet Denkressourcen, das kostet Energie.
(…)
ZEIT: Sonst wird selbst die Erholung zum Stress?
Rosa: Dieses Phänomen wurde schon in den Siebzigern beschrieben: Je produktiver wir werden, je mehr wir pro Stunde erarbeiten, umso mehr steigt der Druck auf jene Stunden, in denen wir nicht arbeiten, weil wir nun die Erwartung haben: Jetzt muss ich aber mal wirklich gut entspannen!