Mein Freund, der Franz Himpsl, hat zwar kurz vor’m Jahreswechsel in der SZ geschrieben, besser Schluss zu machen mit den guten Vorsätzen. Ich mach’s aber trotzdem. Also: 24 in 24. 24 Bücher im Jahr 2024 – und dann jedes Mal einen Absatz, muss‘ ja wirklich nicht übertreiben, hier zu schreiben. Also, los gehts.
Pedro Lemebels Buch, im Suhrkamp-Verlag veröffentlicht, ein elegantes Band in trans Farben auf dem Einband, lag unter’m Weihnachtsbaum. Dabei die Bemerkung: „In der Beschreibung heißt es, der Autor hätte queere Weltliteratur verfasst. Grund genug finde ich.“ Eine Erhebung zur Weltliteratur, die traue ich mir nicht zu, doch eins kann ich sagen: Das Buch ist eine Wucht, eine klare Leseempfehlung, eine nie zuvor gelesene Mischung einer Beschreibung von queerem Leben in Südamerika vor der Emanzipation und politischem Widerstand in einer Diktatur.
Also, um was geht’s? Chile in den 1980er Jahren, die Jahre der Diktatur unter Augusto Pinochet. In einem Eckhaus in Santiago kommen immer wieder Menschen zusammen, die Kisten rein- und raustragen, im oberen Stockwerk Dinge besprechen, die die Bewohnerin, die Tunte von der Front, einen genaueren Namen bekommt sie nie im Buch, nicht weiß und auch nicht so genau wissen will und trotzdem natürlich ahnt. Jedenfalls, die Tunte von der Front verliebt sich in einen der jüngeren Studenten, der regelmäßig kommt: Carlos, natürlich ein Deckname.
Die Tunte von der Front, die auch so heißt, weil ihr Leben ein einziger Kampf ist, führt ein Leben als trans Frau und wahrgenommen als schwuler Mann am Rand der chilenischen Gesellschaft. Sex existiert nur als Übergriff oder Tauschhandel. Meist als Opfer, manchmal auch als Täter; oder irgendwas dazwischen. In der zweiten Hälfte es Buches steht der Satz: „Was sollte sie tun, wenn in ihrem Leben stets das Verbotene geglänzt hatte, die geknebelte Sehnsucht nach dem Unmöglichen?“
„Torero, ich hab Angst“ ist dicht und witzig, vielschichtig und direkt. Unzählige Wortneuschöpfungen finden sich darin, wie Molotowcocktailzärtlichkeit und Hitlernirvana, mit denen die zwei Erzählenden, die Tunte von der Freund und Pinochet himself, die Tage im Sommer und Herbst 1986 beschreiben. Die Übersetzung muss eine Herausforderung gewesen sein.
Autor*in ist Pedro Lemebel, nie zuvor gehört. Schriftsteller und Performance-Künstler heißt es in der Wikipedia, Aktivist in den 1980er Jahren unter Pinochet. Auf der Berlinale lief vor wenigen Jahren eine Dokumentation über seine Kunst und seinen Widerstand und die Vermischung der beiden. Leider konnte ich sie bisher in den Weiten des Internets noch nie auftreffen. Bei Icarus Films kann man den Film ausleihen, 5 Dollar für den Stream, mit englischen Untertitlen: https://icarusfilms.com/if-leme